Michael Wagg begibt sich mit The Turning Season – DDR-Oberliga Revisited auf eine Spurensuche durch die Vergangenheit des ostdeutschen Fußballs. Sein Buch widmet sich der letzten Saison der DDR-Oberliga 1989/90, die in eine Zeit des politischen Umbruchs fiel. Die Mauer war gefallen, die Wiedervereinigung stand bevor – und mit ihr das Ende einer eigenständigen Fußballkultur in der DDR. Doch anstatt lediglich eine historische Betrachtung der Liga zu liefern, geht Wagg einen Schritt weiter: Er reist zu den 14 Vereinen, die damals in der Oberliga spielten, und erkundet, was aus ihnen geworden ist. Dabei verknüpft er Vergangenheit und Gegenwart, lässt Spieler, Funktionäre und Fans zu Wort kommen und zeichnet so ein lebendiges Bild eines oft übersehenen Kapitels der deutschen Fußballgeschichte.
Von großen Spielen und bitteren Niederlagen
Die DDR-Oberliga hatte über Jahrzehnte hinweg eine eigene Identität entwickelt, unabhängig von der westdeutschen Bundesliga. Legendäre Duelle zwischen Vereinen wie Dynamo Dresden, 1. FC Magdeburg oder Carl Zeiss Jena begeisterten die Zuschauer, und mit dem Europapokalsieg Magdeburgs 1974 konnte sogar ein DDR-Klub internationale Erfolge feiern. Doch nach der Wende änderten sich die Rahmenbedingungen drastisch: Spieler wechselten in den Westen, finanzielle Engpässe zwangen Vereine in die Insolvenz, und Traditionsklubs mussten ihren Platz im Profifußball räumen.

Wagg bringt in seinem Buch The Turning Season – DDR-Oberliga Revisited all diese Entwicklungen zur Sprache und zeigt anhand individueller Vereinsgeschichten, wie unterschiedlich sich die Wege der einstigen Oberligisten entwickelten. Während sich einige Klubs wie Hansa Rostock und Dynamo Dresden für den gesamtdeutschen Profifußball qualifizieren konnten, fielen andere, wie der FC Rot-Weiß Erfurt oder Chemie Böhlen, in die Bedeutungslosigkeit zurück.
Persönliche Begegnungen und emotionale Geschichten
Besonders eindrucksvoll sind die persönlichen Begegnungen, die Wagg im Verlauf seiner Recherchereise erlebt. Er trifft auf Spieler, die einst vor zehntausenden Fans aufliefen und heute in ganz anderen Berufen arbeiten. Ehemalige Funktionäre erinnern sich an die Herausforderungen der Wendezeit, in der viele Vereine mit der neuen wirtschaftlichen Realität kämpften. Auch die Fans kommen zu Wort – Menschen, die trotz aller Rückschläge ihren Klubs die Treue hielten und oft bis heute die Stadien besuchen.
Ein Beispiel ist die Geschichte von Karl Drössler, der in den 1960er Jahren für den 1. FC Lokomotive Leipzig gegen Eusébios Benfica spielte. Solche Erinnerungen verleihen dem Buch eine persönliche Note und machen es zu mehr als nur einer historischen Betrachtung.
Zwischen Nostalgie und Realität
Wagg schafft es, die Balance zwischen Nostalgie und einer realistischen Analyse zu wahren. Zwar schwingt in vielen Passagen des Buches eine gewisse Wehmut mit – insbesondere wenn von den glanzvollen Tagen der DDR-Oberliga die Rede ist –, doch gleichzeitig zeigt der Autor auch die positiven Entwicklungen. Einige Vereine haben sich neu erfunden, in den unteren Ligen konsolidiert oder sogar als Fanprojekte wiederbelebt. Die Vielfalt der Schicksale macht das Buch besonders spannend, da es nicht nur eine einseitige Darstellung der ‚guten alten Zeit‘ liefert, sondern auch die Herausforderungen und Chancen der Nachwendezeit beleuchtet.

Ein Buch für Fußball- und Geschichtsinteressierte
The Turning Season ist nicht nur für Fußballfans ein lesenswertes Werk. Wer sich für ostdeutsche Geschichte, gesellschaftliche Veränderungen nach der Wende oder einfach für gut erzählte Reiseberichte interessiert, wird hier fündig. Wagg kombiniert seine fundierte Recherche mit einer lebendigen Erzählweise, die den Leser auf eine Reise durch Stadien, Vereinsheime und die Erinnerungen der Menschen mitnimmt.
Eine lohnende Lektüre für alle Fußballromantiker und Historiker
Michael Wagg gelingt mit The Turning Season – DDR-Oberliga Revisited eine eindrucksvolle Mischung aus Fußballgeschichte, Zeitdokumentation und persönlicher Reportage. Durch seine einfühlsame und detaillierte Erzählweise werden die Schicksale der DDR-Oberliga-Klubs lebendig, und der Leser bekommt ein Gespür dafür, wie eng Fußball mit gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft ist.
Wer sich für die Geschichte des ostdeutschen Fußballs interessiert oder mehr über die Umbrüche nach 1989 erfahren möchte, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Es ist ein Stück Fußballgeschichte – aber auch ein Stück gesamtdeutscher Erinnerungskultur.